Ganzheitliche Transformation in der Kultur: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
Von Daniel Seitz
Im Artikel lernen wir Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen – ökologisch, ökonomisch sowie soziale Nachhaltigkeit – kennen und wie sich programmatische Nachhaltigkeit dazu verhält.
„Palmen, Palmae, Arecaceae, hauptsächlich in den Tropen verbreitete einzige Familie der Palmenartigen mit knapp 200 Gattungen und über 2.500 Arten. Kletterpflanzen (Lianen), Sträucher oder bis über 30 m hohe, meist unverzweigte Bäume mit einem ausgeprägten primären Dickenwachstum, jedoch ohne das für die Dikotylen (Zweikeimblättrige Pflanzen) typische sekundäre Dickenwachstum. Eine ‚typische‘ Palme besteht aus einem mehr oder minder säulenförmigen Stamm, einem endständigen Blattschopf mit einer einzigen Scheitelknospe sowie meist blattachselständigen Blüten- bzw. Fruchtständen. Der Stamm wird von zahlreichen zerstreut angeordneten und von einem harten, faserigen umgebenen Gefäßbündeln durchzogen.” [1]
Warum Sie sich nun mit Palmen beschäftigen in einem Artikel, der die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit [2] thematisiert? Wir könnten hier nun klassisch über planetare Grenzen [3], über den Klimawandel und die Auswirkungen auf Palmen und andere Pflanzen sprechen, über die oft unterbeleuchtete planetare Grenze Frischwasser oder über Biodiversität. Denn das sind meist die ersten Themen, an die wir denken, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen. Dabei ist es wichtig, alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Blick zu behalten: die ökologische, die soziale und die ökonomische Nachhaltigkeit.
Eine Palme wird nur dauerhaft stabil wachsen und bestehen, wenn sie ihren Stamm gleichmäßig in alle Richtungen ausprägt. Wenn sie ihren Stamm nur in Richtung Sonne ausbildet, wird sie schief und irgendwann kippen. In dem Bild können Sie Stamm durch die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ersetzen und Sonne durch gesellschaftliche Trends und Förderungen. Wir müssen sicherstellen, dass wir als Gesellschaft diese Trends und Förderungen ganzheitlich ausgestalten.
Nachhaltigkeit weiter denken
In unserem Beratungsalltag mit Kultur-Institutionen werden wir als Institut für Zukunftskultur oft zu Nachhaltigkeitsberatung angefragt. Dabei geht es fast immer um ökologische Nachhaltigkeit. Das ist ein guter erster Ansatzpunkt und auch richtig und wichtig, dass die Organisation sich damit intensiv auseinandersetzt. Wir nutzen diesen ersten Kontakt immer auch, um den Blick auf soziale und ökonomische Nachhaltigkeit zu erweitern. Denn die aktuelle Auseinandersetzung mit Klima und Ökologie findet ja nicht im luftleeren Raum statt, Kultureinrichtungen haben eine Vorgeschichte und schon vieles geleistet. Gerade die letzten Jahre gab es ganz zentrale Themen wie Inklusion und Diversität, mit denen wir uns intensiv auseinandergesetzt haben. Nun kommt mit Nachhaltigkeit das nächste Megathema und wir spüren durchaus eine Müdigkeit in der Mitarbeitendenschaft: Nicht weil sie neue Themen und Herausforderungen generell ablehnen, sondern weil sie viele Themen unter zunehmend schwierigen Bedingungen und gesellschaftlichem Klima zu bewältigen haben.
Dabei hilft uns allerdings, Nachhaltigkeit als gemeinsame Klammer zu verstehen und eben Themen der sozialen Gerechtigkeit wie Diversität und Inklusion als Teile der sozialen Nachhaltigkeit zu verstehen und damit strategisch wie praktisch integrieren zu können, statt die Themen gegeneinander auszuspielen. In sozialer Nachhaltigkeit stecken viele wichtige weitere Themen, über die wir eine breite Akzeptanz für unsere Nachhaltigkeitsthemen herstellen können, gerade weil sie unmittelbarer sind und häufig direkter uns selbst betreffen als ökologische Themen, die meist erst in Zukunft und häufigen Narrativen zufolge vor allem negativ uns selbst betreffen. Nicht das Kulturengagierte sich nur um eigene Themen kümmern würden, bei immer stärker begrenzten Ressourcen, vor allem der eigenen Kraft in prekären Räumen, macht dies aber dennoch einen Unterschied.
Ökologisch - Ökonomisch - Sozial
Themen wie Partizipation, machtkritische Auseinandersetzungen mit der eigenen Organisation, gute Arbeitsbedingungen für Alle, Verantwortung in der eigenen Region oder Stadt oder faire Bezahlung, Gender Pay Gap, haben großes Potenzial, lebendige Strukturen im eigenen Kulturbetrieb zu aktivieren und sollten deswegen in ganzheitliche Nachhaltigkeitsprozesse integriert werden.
Auch in der ökonomischen Nachhaltigkeit gibt es zentrale Themen wie verantwortungsvolle Geschäftsführung, nachhaltige Finanzen und Investments, Diversifizierung der Einnahmen, eine umfassende und tragfähige Zukunftsstrategie, eine gemeinsame Vision inklusive Nachhaltigkeitszielen. All diese Themen liegen vor allem beim Führungsteam, können jedoch in gelebter Transparenz und Beteiligungsformen neue Dynamiken und Unterstützung bei den Mitarbeitenden bekommen, indem sie gemeinsam weitergedacht und dadurch in der Breite getragen werden.
Vom negativen Fußabdruck zum positiven Handabdruck
Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit helfen uns, ein gutes solides Fundament in der Organisation herzustellen, die Themen umfassend zu verstehen und gemeinsame Schritte für Maßnahmen abzuleiten. Wir empfehlen Nachhaltigkeitsmanagement in der Organisation immer strategisch anzugehen. Das bedeutet, dass Maßnahmen auch nach Wesentlichkeit beurteilt und angegangen werden. Nicht immer müssen dabei alle drei Dimensionen gleichzeitig angegangen werden, natürlich gibt es entlang der aktuellen Möglichkeiten die Option, in der Umsetzungsphase erstmal eine Dimension verstärkt in den Blick zu nehmen. Auf strategischer Ebene empfehlen wir dann aber, einen Plan zu haben, wie auch die anderen Dimensionen angegangen werden und vor allem, an welchen Stellen der Umsetzung es dennoch Sinn machen kann, alle Dimensionen gleichwertig zu betrachten, um ein umfassendes Bild zu erhalten.
Dieses Fundament ist wichtig, um unserer Verantwortung nachzukommen, aber auch Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Adressat:innen herzustellen. Doch liegt neben der Verbesserung unseres (negativen) Fußabdrucks das eigentliche Potenzial der Kultur in unserem Handabdruck [4], das was wir positiv in der Gesellschaft erreichen können. Wir sprechen hier von programmatischer Nachhaltigkeit. Im Bild der Palme ist das die Höhe, die die Organisation erreichen kann, dort wo sie über ihren Wirkungskreis der eigenen Organisation hinauswachsen, dort wo sie in die Gesellschaft hinein strahlen kann. Aber auch die Stabilität einer Palme festigt sich durch das Absterben ihrer Blätter oder anders: durch ständige Erneuerung unserer Programmatik. Deswegen lassen Sie uns unbedingt all unsere Hausaufgaben in der eigenen Organisation machen, aber lassen sie uns weder dabei stehen bleiben noch durch überambitionierte Maßnahmen uns so klein zu machen, dass wir nicht mehr wirken können.
Transformation braucht Geschichten
Im aktuellen gesellschaftlichen Klima brauchen wir unsere Bühnen, unsere Stimmen, unsere Ausstellungen, unsere Aktivitäten aus Kunst und Kultur, um eine positive Geschichte der sozialökologischen Transformation zu entwerfen, die im Sinne der Dimensionen der Nachhaltigkeit eben nicht nur ökologische Aspekte in den Blick nimmt, sondern auch auf sozial-gerechte Transformation setzt.
Ganzheitliche Nachhaltigkeit - ein Teil unseres Kulturauftrags
Dies bedeutet ebenfalls, im Sinne einer Klimagerechtigkeit Verantwortung gegenüber dem globalen Süden zu übernehmen, aber auch Generationengerechtigkeit auf unseren Bühnen und Kulturräumen zu besprechen und „schon” jetzt über gerechte Klimafolgenanpassungen in unseren sozio-kulturellen Räumen nachzudenken. Beispiele, wie gewinnbringend eine ganzheitliche Betrachtung ist, die nicht nur die eigene Betriebsökologie betrifft, gibt es viele. Indikatoren dafür sind meist nicht nur die umfassenden Maßnahmenkataloge, die Kulturinstitutionen entwickeln und umsetzen, sondern vor allem auch der Beteiligungsgrad der Mitarbeitendenschaft, die es stets gilt, umfassend mitzunehmen. Hier sehen wir, wenn aus Erschöpfung Aktivität und Engagement wird, hier sehen wir, wenn aus emotional distanzierter Umsetzungsebene inspirierte Impulsgeber:innen werden. Und hier sehen wir, wenn neue Energien frei werden, weil aus der viel beschworenen und selten belegten Verbotskultur und behaupteter ideologisch getriebenen Klimahysterie beteiligungsbasierte und gemeinsame Visionen und Missionen entstehen, die unserem Kulturauftrag nicht nur nicht entgegenstehen, sondern ganz im Gegenteil, unseren Kulturauftrag im besten Sinne erweitern um organisationale und programmatische Zukunftsgewandtheit.
Wir können also nur gewinnen, wenn wir Nachhaltigkeit ganzheitlich in ihren Dimensionen bearbeiten und vor allem unseren kulturellen Auftrag mit programmatischer Nachhaltigkeit verbinden.
Literaturverzeichnis
[1] Spektrum.de (o. J.). Lexikon der Biologie. Palmen. Abgerufen von Palmen - Lexikon der Biologie (Stand: 09.07.2025).
[2] Wikipedia. Die freie Enzyklopädie (o. J.). Drei-Säulen-Modell (Nachhaltigkeit). Abgerufen von Drei-Säulen-Modell (Nachhaltigkeit) – Wikipedia (Stand: 09.07.2025).
[3] Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (o. J.). Planetare Grenzen – Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit. Abgerufen von Planetare Grenzen – Ein sicherer Handlungsraum für die Menschheit — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Stand: 09.07.2025).
[4] Germanwatch (o. J.). Was ist der Handabdruck? Abgerufen von Was ist der Handabdruck? | Germanwatch e.V. (Stand: 09.07.2025).
Kurzvita des Autors
Daniel Seitz
Daniel Seitz ist Leiter des Instituts für Zukunftskultur und berät Organisationen aus den Bereichen Kultur, Bildung und Medien. Nach beruflichen Stationen in der IT, Heilpädagogik und sozialen Arbeit widmet er sich seit vielen Jahren dem Thema Klimagerechtigkeit und setzt sich für eine ganzheitliche Perspektive der Nachhaltigkeit ein – ökologisch, ökonomisch und sozial. Mit seiner Plattform klimagerechtigkeit.net schafft er Raum für Austausch, Bildung und Vernetzung. Daniel Seitz lebt in Berlin und ist im deutschsprachigen Raum sowie international tätig.