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Schweden als „Silicon Valley“ der Nachhaltigkeit - auch für die Kultur?

Schweden belegt seit Jahren Spitzenplätze in internationalen Nachhaltigkeits-Rankings, inspiriert mit innovativen Umweltlösungen und gilt weltweit als Vorbild für eine klimafreundliche Lebensweise. Doch was genau macht das skandinavische Land so besonders? Während in Deutschland noch intensiv über Wege zu mehr Nachhaltigkeit diskutiert wird, ist in Schweden eine umweltbewusste, langfristig ausgerichtete Politik längst Realität. Ein genauerer Blick macht deutlich, welche Maßnahmen und Erfolgsfaktoren Schweden zum Vorbild einer nachhaltigen Zukunft machen.

Stadt und Landschaft Växjös von oben

Agenda 2030: Umsetzung in Schweden

Wer sich mit den Grundlagen von Schwedens Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit beschäftigt, stößt schnell auf die Agenda 2030 – den globalen Plan der Vereinten Nationen mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Ökologie, Soziales und Wirtschaft[10] Schweden hat es geschafft, diese ambitionierten Ziele gekoppelt mit der 2001 verankerten nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in konkrete politische Maßnahmen zu übersetzen. Dabei setzt das Land auf innovative Technologien, konsequente politische Rahmenbedingungen und einen hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen. [2] Ein Blick auf den Energiesektor zeigt, wie ernst das Land seine Verantwortung nimmt: Trotz eines vergleichsweise hohen Energieverbrauchs, vor allem bedingt durch lange, kalte Winter, gehören die CO₂-Emissionen pro Kopf mitunter zu den niedrigsten weltweit. Darüber hinaus erreichte Schweden im Jahr 2023 mit 66,4 Prozent den höchsten Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch in der EU. Zum Vergleich: In Deutschland lag dieser Anteil bei 21,5 Prozent, in der EU insgesamt bei rund 25 Prozent. [8]

Bis 2040 soll zudem der gesamte Strom in Schweden ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammen. Ein großer Teil der Energie stammt heute bereits aus Wasserkraft, Wind, Biomasse und Solarenergie. Der Ausbau von Elektromobilität, der verstärkte Einsatz von Biokraftstoffen und eine intelligentere Verkehrsplanung sollen den Wandel ebenfalls beschleunigen. Ein weiteres Beispiel für die landesweite Nachhaltigkeits-Vision ist die von der schwedischen Regierung präsentierte Strategie „Intelligente Industrie“, die den Weg für eine ressourcenschonendere und digitalisierte Produktion ebnen soll. [2] Anknüpfend daran, zeigt Schweden auch im Bereich Kreislaufwirtschaft Lösungswege auf. Ein wichtiger Baustein dessen ist das "Waste-to-Energy"-Konzept, mit dem etwa 99 Prozent der Abfälle recycelt oder weiterverarbeitet werden. Etwa die Hälfte des Mülls wird dabei wiederverwertet, der Rest thermisch verarbeitet, um Energie zu gewinnen. [11] Währenddessen haben andere Länder, darunter auch Deutschland, nach wie vor mit steigenden Abfallmengen und stagnierenden Recyclingquoten zu kämpfen. Verpackungsmüll gehört dabei zu einem drängenden Problem der deutschen Konsumgesellschaft. So fielen in Deutschland 2022 pro Kopf 227 Kilogramm Verpackungsabfälle an – deutlich mehr als der EU-Durchschnitt von 186 Kilogramm und der schwedische Wert von 130 Kilogramm pro Kopf. [7]

Växjö: „Die grünste Stadt Europas“

Ein gepflasterter Weg führt zwischen mehreren Holzhäusern hindurch.

Die „Holzstadt“

Ein Paradebeispiel für die lokale Umsetzung der Nachhaltigkeits-Ziele ist die schwedische Stadt Växjö, die inoffiziell als „grünste Stadt Europas“ bezeichnet wird. Inmitten der südschwedischen Wälder steht Växjö als Vorbild für nachhaltige Stadtentwicklung in Europa. Bereits 1991 setzte sich die Universitätsstadt mit ihren rund 98.000 Einwohnern ein ehrgeiziges Ziel: Växjö will bis spätestens 2050 vollständig auf fossile Energien verzichten. Ein gutes Beispiel für die Umsetzung dieser Vision ist die konsequente Holzbaustrategie der Kommune. Bereits 2016 wurden 67 Prozent der kommunalen Neubauten aus Holz errichtet, weswegen Växjö oft auch als „Holzstadt“ bezeichnet wird. Einige Projekte erfüllen zudem den sogenannten Passivhausstandard – die Gebäude sind so energieeffizient, dass im Winter sogar die Körperwärme der Bewohner zum Heizen ausreicht. [6]

Nachhaltig mobil

Im Verkehrssektor setzt die Stadt ebenfalls auf nachhaltige Lösungen, darunter Biogasbusse, ein gut ausgebautes Radwegnetz und die Förderung von Elektromobilität, etwa durch E-Tankstellen, die mit Energie aus lokaler Biomasse betrieben werden. Bo Frank, ehemaliger Bürgermeister von Växjö, betont:

„Each citizen must contribute. You can’t just blame others and expect them to do something. You have to start with yourself.“ [7]

Växjö in Bildern

Nordic Green Roadmap

Die Kultur als Motor für nachhaltige Transformation

Die Beispiele aus Växjö verdeutlichen, wie Schweden seine ambitionierten Nachhaltigkeitsziele auf lokaler Ebene umsetzt. Das nationale Engagement Schwedens wird jedoch noch zusätzlich durch eine internationale Zusammenarbeit mit den anderen skandinavischen Ländern ergänzt, die unter anderem in der 2023 veröffentlichten „Nordic Green Roadmap“ ihren Ausdruck findet. Dieser Leitfaden soll Kultureinrichtungen in den nordischen Ländern strategisch und praktisch dabei unterstützen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern und nachhaltiger zu wirtschaften. [9] Ziel ist es, die Vorgaben des EU Green Deal und der Pariser Klimaziele bis 2030 sowie die Ziele der Agenda 2030 zu erfüllen.

Die Roadmap ist kostenfrei zugänglich und richtet sich an Kulturinstitutionen in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden sowie an die autonomen Gebiete Grönland, die Färöer-Inseln und die Åland-Inseln. Diese Länder und Gebiete sind Mitglieder der „Nordic Co-operation“, bestehend aus dem „Nordic Council of Ministers“ (zwischenstaatlich) und dem „Nordic Council“ (interparlamentarisch). Ihre gemeinsame Vision ist es, die nordische Region durch Vernetzung und Zusammenarbeit zur nachhaltigsten Region der Welt zu machen. [4]

Die Nordic Green Roadmap bietet praxisnahe Empfehlungen und eine klare Struktur. In neun konkreten Schritten – von Ressourcenmanagement und -analyse über Zielsetzung und Monitoring bis hin zur kontinuierlichen Verbesserung und der Kommunikation nach außen – lernen Kultureinrichtungen, wie sie ihren Betrieb analysieren, priorisieren und systematisch mithilfe eines individuellen Zeitplans nachhaltiger gestalten können. Die thematischen Abschnitte der Roadmap umfassen die Bereiche Energie & Wasser, Materialien & Abfall, Essen & Trinken, Reisen & Transport, Kohlenstoff-Fußabdruck und Gemeinschaft. Zudem enthält sie Empfehlungen für das politische System zur Förderung der Nachhaltigkeit. [9]

Die Roadmap macht deutlich: Der Kultursektor kann und muss ein aktiver Motor für die nachhaltige Transformation sein.

Louise Lindén, schwedische Unternehmerin und Aktivistin, betont die Rolle des Kultursektors in einem Videobeitrag des Forschungszentrums für Regionalentwicklung und –planung „Nordregio“:

„The creative sector is expert when it comes to telling stories and make us understand a vision of future.“ (11:59 min.). „We need to tell the story that we do this transformation […]. If we let go of these unsustainable behaviors and systems, we will have a better future.“ (12:45 min.). [5]

Linnéa E. Vagen Svensson, Projektmanagerin und Mitautorin der „Nordic Green Roadmap“, hebt zudem hervor, wie wichtig es ist, nachhaltige Veränderungen in den Alltag aller Bevölkerungsgruppen zu integrieren.:

„It’s about changing our habits, changing some things“ (27:54 min.). „It doesn’t have to be one person […]. It can be everyone’s focus“ (28:05 min.). [5]

Lernen von den Besten

Die skandinavischen Länder, insbesondere Schweden, zeigen eindrucksvoll, dass nachhaltiges Handeln nicht nur möglich, sondern auch profitabel und zukunftsweisend ist. Mit innovativen Strategien und Technologien sind sie in vielen Bereichen Vorreiter. Der Kultursektor in diesen Ländern spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem er durch seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und Visionen zu vermitteln, die notwendige Transformation vorantreibt. Deutschland steht noch vor der Herausforderung, mit den führenden Nationen Schritt zu halten, doch der Weg hin zu einer nachhaltigeren Zukunft ist bereits in vollem Gange – und je mehr Länder und Sektoren sich diesem Prozess anschließen, desto schneller können die gemeinsamen Nachhaltigkeits-Ziele erreicht werden. Also, warum nicht von den Besten lernen und den Wandel aktiv mitgestalten?

Literaturverzeichnis

[1] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (o. J.). Klimaabkommen von Paris. Abgerufen von Klimaabkommen von Paris | BMZ (Stand: 15.05.2025).

[2] Embassy of Sweden (o. J.). Die Herausforderung annehmen – Schweden und die Agenda 2030. Abgerufen von agenda_2030_tysk_hemsidan.pdf (Stand: 15.05.2025).

[3] Europäische Kommission (o. J.). Der europäische Grüne Deal. Erster klimaneutraler Kontinent werden. Abgerufen von Der europäische Grüne Deal - Europäische Kommission (Stand: 15.05.2025).

[4] Nordic Co-Operation (o. J.). The Nordic Co-Operation. Abgerufen von The Nordic Co-operation | Nordic cooperation (Stand: 15.05.2025).

[5] Nordregio Videos (29. Oktober 2024). Culture goes green – roadmap to sustainable culture. Abgerufen von Culture goes green – roadmap to sustainable culture - YouTube (Stand: 15.05.2025).

[6] Slavin, Terry (25. November 2015). What can the world learn from Växjö, Europe’s self-styled greenest city? Abgerufen von What can the world learn from Växjö, Europe's self-styled greenest city? | Cities | The Guardian (Stand: 15.05.2025).

[7] Statistisches Bundesamt (o. J.). Recycling und Reduzierung von Siedlungsabfällen, Verpackungsmüll und Elektroschrott. Abgerufen von Recycling und Reduzierung von Siedlungsabfällen, Verpackungsmüll und Elektroschrott - Statistisches Bundesamt (Stand: 15.05.2025).

[8] Statistisches Bundesamt (o. J.). 25 % des EU-Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien. Abgerufen von Europa: Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch 2023 - Statistisches Bundesamt (Stand: 15.05.2025).

[9] Vågen Svensson, Linnéa, & Smærup Sørensen, Inger for The Nordic Council of Ministers (2023). A part of Sustainable Living: Nordic Green Roadmap for Cultural Institutions. Abgerufen von nordiccouncilofministers_greenroadmap.pdf (Stand: 15.05.2025).

[10] Vereinte Nationen (21. Oktober 2015). Resolution der Generalversammlung, verabschiedet am 25. September 2015. Abgerufen von ar70001.pdf (Stand 15.05.2025).

[11 ]World Energy Council 2013 (2013). Waste to Energy. Abgerufen von WER_2013_7b_Waste_to_Energy.pdf (Stand: 15.05.2025).

Autorin

Sina Hübenthal

Sina Hübenthal studiert derzeit im vierten Mastersemester Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster. Zuvor absolvierte sie einen Zwei-Fach-Bachelor in den Fächern Kommunikationswissenschaft und Französisch. Während ihres Studiums sammelte sie durch ein dreimonatiges Auslandspraktikum internationale Praxiserfahrung in der Kommunikations- und Marketingabteilung eines französischen Unternehmens. Seit August 2024 ist Sina als studentische Volontärin beim LWL im Projekt kultur-klima tätig.

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