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Von Carina Graf Nachhaltigkeit im Kleinen - Raus ins Land

Das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste (LFDK) bringt mit Raus ins Land Künstler:innen der Freien Darstellenden Künste in ländliche Regionen NRWs.

Theater in ländliche Räume zu bringen, ist nicht immer einfach. Der Transport von Requisiten und Materialien oder die Suche nach einer passenden Spielstätte sind nur zwei Faktoren, die es erschweren, außerhalb der gängigen Spielorte in großen Städten Theaterstücke präsentieren zu können. Der Wunsch danach, Theaterstücke aufs Land zu bringen ist da, die Umsetzung zumeist aber mit viel organisatorischem Aufwand und der Notwendigkeit vieler Ressourcen verbunden. Im Zuge dessen nachhaltig zu handeln und umweltschonend vorzugehen, kann nur wie eine weitere Herausforderung erscheinen. Dass es jedoch nicht so sein muss und dass es Möglichkeiten gibt, Theater in ländliche Räume zu bringen und gleichzeitig das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit zu erfüllen, zeigt das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste (LFDK). 

Das Programm

Das NRW LFDK ist Sprachrohr, Interessenvertreter, Förderer und Dienstleister für die Freie Darstellende Szene in NRW. Nachhaltigkeit ist in allen drei Dimensionen (ökologisch, sozial und ökonomisch) ein integraler Bestandteil dieser Arbeitsfelder. Auch aus diesem Selbstverständnis heraus entstand das Programm Raus ins Land. Das Programm fördert die Verbindung von Freier Szene und ländlichen Räumen mit einem besonderen Augenmerk auf nachhaltige Handlungsweisen. Die Mittel dafür stammen vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Gesamtprogramm ÖkoKult.

In zwei Förderlinien werden Spielorte in ländlichen Räumen und Künstler:innen aus der Freien Szene in der Zusammenarbeit unterstützt: In Tiny Adaptions werden bestehende Produktionen so umgearbeitet, dass sie auch in ländlichen Regionen an kleineren oder ungewöhnlichen Spielorten gezeigt werden können und unter Berücksichtigung von ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten besser gastspielfähig werden.

Person im Scheinwerferlicht.

Mit Tiny Touring werden ebenjenen Spielorten Mittel zur Verfügung gestellt, die das Einladen qualitativ hochwertiger Produktionen erleichtern. So sollen die entstandenen tourfähigen Projekte einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden, um dadurch eine Langlebigkeit der Produktionen und einen schonenden Umgang mit materiellen wie künstlerischen Ressourcen zu gewährleisten.

Aufeinander zugehen

Spielorte und Menschen vermitteln

Während die großen Freien Produktionshäuser in den großen Städten NRWs mit den Künstler:innen durch eigene Mittel in Form von Koproduktionsbeiträgen und Gastspieleinladungen kooperieren, fällt dies kleinen Spielorten wesentlich schwerer. Hinzu kommt die kleinere Sichtbarkeit der Orte im Vergleich zu großen Theaterhäusern. Denn: Wie finde ich als Künstler:in den passenden Ort, wenn ich nicht weiß, wo ich mit meiner Suche beginnen soll?

Aus diesem Grund treten wir neben unserer Fördertätigkeit auch als Vermittler:innen auf und bringen Orte mit Lust und Kapazitäten mit interessierten Künstler:innen zusammen. Dabei geht es nicht um ein vermittelndes Booking, sondern darum, Erfahrungen zu teilen und gemeinsame Ziele, Arbeitsweisen und Publika auszuloten. Hierfür bieten wir im Vorfeld Matchingveranstaltungen mit Raum für Fragen, Gespräche und Begegnung an. Die erste Veranstaltung dieser Art fand am 28.10.2025 statt. Resonanz und Feedback der Teilnehmenden waren eindeutig: Sowohl Orte als auch Künstler:innen freuten sich über die neue Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. Weitere Vernetzungsformate sind für den Beginn des Jahres 2026 geplant.

Personen im Handstand in einer Reihe

Nachhaltigkeit

Das Programm versteht künstlerische und ökologische Nachhaltigkeit im Zusammenspiel. Geförderte Produktionen werden befähigt auch kleine oder abseitige Bühnen und Orte zu bespielen und bei der Umarbeitung ökologische Aspekte mitzudenken. Diese Aspekte reichen von Technik-/Materialreduktion und damit reduzierten Transporten bis hin zu einer nachhaltigeren Öffentlichkeitsarbeit sowie einem Neudenken der Spielsituation. Das entstehende Potential, die Produktionen öfter zeigen zu können und ein diverseres Publikum anzusprechen, ist sowohl im Hinblick auf die aufgewendeten Ressourcen als auch die Begegnung mit neuen Menschen wertvoll.
Alle geförderten Künstler:innen erhalten im Rahmen ihrer Förderung ein individuelles ökologisches Nachhaltigkeitscoaching durch zertifizierte Transformationsmanager:innen aus dem Bereich Kultur, das in Deutschland bislang einzigartig ist. Dieses soll ihnen helfen, selbst ambitionierte, aber realistische Ziele für die Verkleinerung ihres ökologischen Fußabdrucks zu erarbeiten und innerhalb des Produktionsprozesses umzusetzen.

Empowerment

"Die Geförderten schätzen die Möglichkeit, in persönlichen Gesprächen wertvolle Hinweise, Empowerment und Inspiration zu erhalten, die es ihnen ermöglichen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen und diese auch in zukünftigen Projekten zu etablieren."

Diana Palm

Ein weiteres für alle Interessierten offenes Workshop-Angebot in 2025 war die Veranstaltung How to ressourcerie im atelier automatique in Bochum. Die ressourcerie automatique hat sich vorgenommen, einen niedrigschwelligen, möglichst großen Pool an Gegenständen zu schaffen, die Künstler:innen untereinander verleihen können, um weniger Material neu anschaffen zu müssen. Von Blue Screens über Kostümteile und Sessel mit Tiermustern bis zu Bierbänken ist der Katalog bereits gut gefüllt und freut sich stets auf neue Nutzer:innen. Im Workshop konnten die Teilnehmenden ihr eigenes Material katalogisieren und so für andere zugänglich machen.

Best Practice: Tiny Adaption

Tacho Tinta - cultural drag xxs
von Mijin Kim, Silvia Ehnis Perez Duarte und Robin Junicke

Im Jahr 2024 konnten wir im Rahmen des Förderprogramms Tiny Adaptions unsere Produktion Cultural Drag aus den Jahren 2020/21 für den ländlichen Raum adaptieren – beginnend in der Kulturkneipe Auf der Heide in Schwerte. Cultural Drag ist eine zeitgenössische Tanzperformance mit einem Drag-Touch – ein Spiel mit positiven Verunsicherungen, ein Selbststereotypisieren als künstlerische Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Klischees des gesellschaftlichen Miteinanders.

Die Adaption war weniger eine Verkleinerung des Stücks als die Suche nach Überlagerungen und neuer Positionierung, bei der Spiel- und Publikumsbereich ineinander verschmolzen. Die Kneipe wurde zu einem vorübergehenden choreografischen Ort, in dem die Nähe zum Publikum künstlerisch neu ausgelotet wurde. Wir haben so eine modulare Version des Stücks entwickeln können, die auch dort gespielt werden kann, wo die lokale Kneipe der einzige lebendige Treffpunkt ist. All dies verfolgte das Ziel, ein gemischtes Publikum zu erreichen und insbesondere diejenigen einzuladen, die sich im Theater nicht eingeladen fühlen.

Person in rotem Licht auf einem Tisch.

Cultural Drag xxs

Für die Adaption nahmen wir verschiedene künstlerische Anpassungen vor:

Die ursprüngliche Choreografie wurde mitten in den Raum gesetzt, Zuschauende um das Geschehen herum. Es wurde deutlich, wie stark sich die Wahrnehmung von Kunst verändern kann, wenn sich ihr Umfeld wandelt. Die Bar war nicht nur ein Ort, an dem die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgehoben wurde; hier begegneten sich Performer:innen und Publikum nicht allein über den Blick, sondern in einem gemeinsamen Feld geteilter Wahrnehmung. Diese neue Nähe schuf eine Atmosphäre, in der das Publikum seine eigene Präsenz aktiver entfalten konnte. Dadurch entstand eine besondere Energie, die unsere Arbeit nicht nur in ihrer Aussage, sondern auch in der gegenseitigen Erfahrung intensivierte. Wir können uns nicht mehr vorstellen, die frontale Version zu spielen, nur diese neue Adaption.

Nachhaltigkeit war ein zentraler Aspekt der Adaption. Alle originalen Kostüme und das Bühnenbild wurden wiederverwendet und das Stück ist nun mit acht gemieteten Astera-LEDs und der vor Ort vorhandenen Technik spielbar. Für die Werbung kamen wiederverwendbare Plakate sowie eine NFC-Tafel mit Link zu einem digitalen Abendzettel zum Einsatz. Es wurden keine Online-Einkäufe für fehlendes Material getätigt; stattdessen nutzten wir vorhandene Ressourcen vor Ort und suchten nach alternativen Lösungen. Dies erfordert zwar mehr Zeit und Organisation, war jedoch ein bewusster Schritt – die Bequemlichkeit im Produktionsprozess trat in den Hintergrund zugunsten eines nachhaltigeren und bewussteren Arbeitens.

Erste Ergebnisse

Durch dieses Projekt lernten wir, was „Handabdruck“ bedeutet, und fanden in unserem Arbeitsmodell Resonanz dazu: Als tourende Künstler:innen ist die Präsenz vor Ort und das Kennenlernen lokaler Multiplikator:innen essenziell, um ein Gespür für die lokalen Gemeinschaften zu entwickeln und langfristige Beziehungen aufzubauen. Das Team arbeitet langfristig zusammen, legt Wert auf faire Honorierung und ein wertschätzendes internes Arbeitsmodell. Leider sind auch einige Gastspielmöglichkeiten gescheitert, weil nicht genügend finanzielle Mittel vorhanden waren, um das Team fair zu bezahlen.

Dass ein Stück, das 2020 uraufgeführt wurde, auch fünf Jahre später noch als Gastspiel gezeigt werden kann, ist im Kontext der Freien Darstellenden Künste in Deutschland nicht selbstverständlich. Bislang wurde das Stück 25-mal gezeigt – fünfmal in seiner Adaptionsform in Schwerte, Köln, Neumünster und Flensburg, alles ausverkaufte, gemeinschaftsstiftende Vorstellungen – und weitere Gastspiele sind für 2026 in Planung. Dies betrachten wir als unseren größten Nachhaltigkeitserfolg und zugleich als Herausforderung für die Freie Szene, deren aktuelle Strukturen solche Kontinuität nur bedingt ermöglichen. Dafür braucht es gemeinsame Lösungen zwischen Künstler:innen, Spielorten, Förderinstitutionen und Politik.

Ausblick: nachhaltige Beziehungen

Die regelmäßige Evaluierung des Gesamtprogramms Raus ins Land mit all seinen Teilaspekten führt dazu, dass sich das Programm stets weiterentwickelt. Wurde 2025 die neue Programmlinie Tiny Touring eingeführt, arbeiten wir auch für 2026 daran, die Förderformate noch stärker den Hauptzielen des Programms anzupassen: Einen nachhaltigen Beziehungsaufbau zwischen Künstler:innen und neuen Publika in ländlichen Räumen zu unterstützen und nachhaltige Arbeitsweisen in der Freien Szene zu stärken.

Über die Autorin

Carina Graf

Carina Graf studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum, bevor sie als freiberufliche Theaterproduzentin in der Freien Szene tätig wurde. Selbst auf dem Dorf aufgewachsen ist es ihr Ziel als Projektmanagerin im Raus ins Land-Team im NRW LFDK Nachhaltigkeit, ländliche Räume und die Freie Szene zu verbinden.