Mobilität in der Kultur
Die Verbindung aus Kreativität und Zahlen
Mobilität ist eines der Kernthemen, wenn eine Kultureinrichtung ihre Treibhausgasemissionen reduzieren möchte. Dabei kann sie auf direkte und indirekte Weise Einfluss ausüben. Die direkten Faktoren finden sich vor allem in der eigenen Betriebsmobilität, die indirekten in der Publikumsmobilität. Durch eine Mischung aus verschiedenen Maßnahmen können die Emissionen in beiden Bereichen messbar gesenkt werden. Doch wie funktioniert das? Und wie lassen sich Zahlen mit Kreativität verbinden?
Kultur und Mobilität
Mit Kultur verbindet man vor allem das Erlebnis und weniger die Anreise. Doch gerade die spielt eine große Rolle bei den Bemühungen der Kultureinrichtungen, nachhaltiger zu werden.

Daten sammeln
Der für manche unerfreuliche, aber ungeheuer wichtige Teil, um wirklich etwas bewegen zu können.

Ideen für Maßnahmen
Nach den Zahlen kommt die Kreativität. Mit den richtigen Maßnahmen kann viel erreicht werden.

Das Kulturgut Mobilität
Seit Beginn der Massenmotorisierung und der damit einhergehenden Ausbreitung des Individualverkehrs in den 1950er Jahren sind die Menschen in Deutschland zunehmend mobiler geworden. Heute kann man sich bequem in ein Auto setzen und zu seinem Ziel fahren, ohne die Fahrt Tage oder Wochen vorher planen zu müssen. Doch diese Form der Mobilität hat gleichzeitig zu Umweltverschmutzung, Gesundheitsproblemen vieler Menschen und steigenden Treibhausgasemissionen geführt. Des Weiteren ist der Bewegungsradius und die Teilnahme an Kulturangeboten sehr an den Individualverkehr geknüpft. Da zum Beispiel 40 Prozent der Menschen mit niedrigem Einkommen kein Auto besitzen, können sie somit weniger Kulturangebote in Anspruch nehmen. [1]
Auch die Zahlen belegen die Relevanz des Verkehrs: Im Jahr 2023 waren dem Verkehrssektor etwa 22 Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands zuzurechnen. In Nordrhein-Westfalen sind es mit über 30 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr fast 15 Prozent (Stand 2021). [2] Um die Klimaziele im Sektor Verkehr zu erreichen, muss also auch hier etwas getan werden. Möglichkeiten sind der Ausbau des ÖPNV, alternative Antriebe für Autos oder die Nutzung des Fahrrads. Je mehr Menschen auf klimafreundlichere Alternativen umsteigen, desto besser ist es fürs Klima.
Auftritt der Kultureinrichtungen: Die Publikumsmobilität sorgt für 70 bis 80 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Klimabilanz. Grund genug, etwas daran zu ändern. Auch wenn Kultureinrichtungen nur indirekten Einfluss nehmen, da sie beispielsweise keinen Einfluss auf den Straßenbau oder den Busverkehr haben, können sie den Besucher:innen dennoch Anreize geben, nachhaltiger anzureisen. Gleichzeitig haben Kulturbetriebe direkten Einfluss auf die Mobilität der Mitarbeitenden während der Arbeitszeit.
Daten sammeln
Ähnlich wie bei der Klimabilanzierung ist es auch bei der Mobilität wichtig, zunächst den Status quo zu ermitteln. Dies betrifft sowohl die betriebliche Mobilität als auch die Publikumsmobilität. Woher kommen die Besucher:innen und Mitarbeitenden? Welches Verkehrsmittel benutzen sie? Und woher kommen die Ausstellungsstücke für die Sonderausstellung?
Wenn viele mit dem Auto kommen, kann Werbung für Mitfahrgelegenheiten helfen. Bleiben die Fahrradständer bei Veranstaltungen leer? Dann helfen Gespräche mit den Besucher:innen, um herauszufinden, woran es liegt.
Zur Ermittlung des Status Quo und möglicher Hemmschwellen hilft am Besten eine Umfrage!
Die Umfrage
Für eine erfolgreiche Umfrage ist vor allem die Niedrigschwelligkeit entscheidend. Für die eigenen Mitarbeitenden bedeutet das in vielen Fällen die Benutzung eines digitalen Umfragetools, das in der Kultureinrichtung bereits regelmäßig verwendet wird. Die Umfrage kann über den Mailverteiler, das Intranet usw. verschickt werden. Sollte beispielsweise das Aufsichtspersonal keine dienstliche E-Mail-Adresse haben, kann auch eine Liste ausgelegt werden.

Mögliche Fragen an die Mitarbeitenden sind:
- Wie viele Kilometer fahren Sie zum Arbeitsplatz?
- Mit welchem Verkehrsmittel kommen Sie zur Arbeit, wenn Sie in Präsenz arbeiten?
- Wie häufig sind Sie in der Woche in Präsenz bei der Arbeit?
Sobald eine repräsentative Stichprobe erreicht ist, können die Daten ausgewertet werden. Hinzu kommen je nach Kultureinrichtung noch Daten der Dienstreisen, Leihverkehre und des eigenen Fuhrparks.
Um das Publikum am besten zu erreichen und verlässliche Daten zu erhalten, gibt es vor allem zwei Möglichkeiten:
- Vor Ort direkt vor der Veranstaltung
- Mit einer E-Mail nach der Veranstaltung
Bei der ersten Option können die Fragen vom geschulten Kassenpersonal oder anderen Mitarbeitenden im Foyer gestellt werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, ein Tablet in der Nähe des Empfangs zu stationieren. Wenn Personal involviert ist, können so Gespräche über Mobilität und die Nachhaltigkeitsbemühungen zustande kommen. Dies sorgt für eine gezielte Bewusstseinsbildung und stärkere Außenwirkung.
Die zweite Option ist weniger personalintensiv. Hier kann der Link zur Umfrage zusammen mit der Frage nach Feedback verschickt werden. So kommt trotzdem eine gute Rücklaufquote zustande.

Mögliche Fragen zur Erfassung der Publikumsmobilität sind:
- Wie sind Sie zu der Veranstaltung/Kultureinrichtung gekommen? Mit dem ÖPNV, dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß?
- Warum haben Sie diese Form des Transports gewählt?
- Wenn Sie mit dem Auto angereist sind: Wie viele Personen waren im Auto? Welchen Kraftstoff haben Sie benutzt?
- Woher sind Sie angereist? Am besten mit Postleitzahl.
- Wohin werden Sie zurückkehren? Am besten mit Postleitzahl.
- Was würde Sie dazu ermutigen, nachhaltiger zu reisen, wenn Sie es nicht schon tun?
Die Auswertung
Die erhaltenen Daten können Sie auswerten und daraus Maßnahmen ableiten. Dafür gibt es verschiedene Tools, wie zum Beispiel den kostenlosen Distanz-Checker des CO2-Kulturrechners der Kultusministerkonferenz. Mithilfe des Distanzcheckers können Sie die Reisedistanzen innerhalb Europas auf Grundlage des jeweiligen Beförderungsmittels sowie des Start- und Zielortes automatisch berechnen lassen. Diese und alle weiteren wichtigen Informationen zur Klimabilanzierung finden Sie hier. Darüber hinaus gibt es weitere Tools, die zum Teil kostenpflichtig sind.
Ein Beispiel für eine gute Aufbereitung der Ergebnisse finden Sie hier auf der Website des Konzerthaus Dortmund.
Ideen für Mobilitätsmaßnahmen
Die hier vorgestellten Maßnahmen sollen als Inspiration dienen. Dabei erhebt die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit und nicht jede Maßnahme ist von allen Kultureinrichtungen anwendbar. Sie wird laufend ergänzt. Gerne verweisen wir auch auf Ihre Beispiele.
Highlights Betriebsmobilität
Highlights Publikumsmobilität
Betriebsmobilität
- Bei eigener Fahrzeugflotte auf alternative Antriebe umstellen
- Bei jeder Gelegenheit Mitarbeiter:innen ermutigen, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV Strecken zurückzulegen
- Flüge weitestgehend vermeiden, dafür höhere Kosten für zusätzliche Hotelübernachtung oder ein teureres Bahnticket einplanen
- Umkleiden und Duschen am Arbeitsort könnten z.B. für Fahrradfahrer:innen interessant sein
- Bei Dienstreisen auf zertifizierte Nachhaltigkeitshotels achten
Publikumsmobilität
- Kommunikation: Frühzeitig und wiederholend über Transportoptionen, Routen und Anreize informieren
- Grouprides oder -walks zur Kultureinrichtung organisieren
- Mit lokalen Geschäften arbeiten, um Vergünstigungen (z.B. Essen) für alle zu vergeben, die zum Beispiel mit dem Fahrrad angereist sind
- Kulturaktion schon bei der Anreise starten, zum Beispiel durch Aufführungen in der U-Bahn oder im Bus.
- Sichere Routen auf der Website darstellen → Kooperation mit Stadt/Gemeinde
- Anfrage bei der Stadt: Taktung des ÖPNV erhöhen
- Bei größeren Kultureinrichtungen: Die nächste ÖPNV-Haltestelle nach der Kultureinrichtung benennen lassen. Dies schafft Klarheit bei der Anreise.
- Bei Wahl eines Veranstaltungsortes auf die Erreichbarkeit durch ÖPNV achten
- Kulturbus, der zum Beispiel in den Ferien bestimmte Kultureinrichtungen anfährt
- Hybridveranstaltungen organisieren, damit nicht unbedingt der Bedarf da ist, zur Kultureinrichtung zu kommen
- Bei Festivals: Transporter organisieren, der das Gepäck mitnimmt, während man selber mit dem Fahrrad fährt
Infrastruktur
- Sichere Fahrradparkplätze inkl. Werkzeug für kleine Reparaturen
- Parkplätze für Autos reduzieren und/oder Kosten erheben. Die Einnahmen können für weitere Nachhaltigkeitsmaßnahmen genutzt werden.
- Ladesäulen für Fahrräder und Autos zur Verfügung stellen
- ÖPNV-Haltestelle beantragen
Produktion
- Set Design, Kostüme und eigene Fahrzeuge in der Nähe der Kultureinrichtung lagern
- Materialien/Set Design am Besten von lokalen Lieferanten leihen oder kaufen um Transport zu reduzieren
- Materialien in größeren Mengen kaufen, z.B. durch gemeinsamen Kauf mit anderen Kultureinrichtungen, um unnötige Transporte zu sparen
- Materialbörsen in der Region nutzen
- Energieeffiziente Plug and Play Options anbieten, damit Bands nicht mehr mit viel Gepäck reisen müssen.
Kommunikation zur nachhaltigen Anreise
Vor allem bei den Maßnahmen zur Publikumsmobilität ist es wichtig, dass die Besucher:innen frühzeitig und regelmäßig darüber informiert werden. Durch die Studie Ticket to Ride konnte gezeigt werden, dass Menschen, die über nachhaltige Anreisen informiert wurden, pro zurückgelegtem Kilometer rund 10 Prozent weniger CO2 verursacht haben. [4]
Nudging - Die Anreize der Kultur
Kreativität
„Nudging [engl.: schubsen] ist eine Methode, Menschen durch einen »Schubs« zu einer Verhaltensänderung anzuregen, ohne mit Ge- oder Verboten zu arbeiten.“ [5]
Auch wenn wir Menschen uns gerne als rationale Wesen betrachten, so werden doch die meisten Entscheidungen eines Tages unterbewusst und aus einem Gefühl heraus getroffen. „Der Mensch...
- kann durch Faulheit, Gruppenzwang oder seinem Wunsch nach persönlichem Gewinn beeinflusst werden
- ist nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, ohne seine Hoffnungen und Ängste zu berücksichtigen
- kann durch ähnliche Situationen oder Entscheidungen in der Vergangenheit beeinflusst werden
Deshalb sind Indikatoren für die Akzeptanz von Nudges
- die allgemeine Offenheit für vorab ausgewählte Optionen
- das Interesse, auf der Seite des Gewinners zu stehen, oder sogar
- der Wunsch, Teil eines Ereignisses oder einer Unterhaltung zu sein.“ [6]
Beispiele für Nudging
Nudges lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Einige davon sind
- Standardeinstellungen: Diese werden von den Benutzer:innen häufig nicht geändert. So kann die Organisation beispielsweise den Drucker auf automatischen beidseitigen Druck einstellen oder einen nachhaltigen Browser voreinstellen.
- Soziale Normen: Der Wunsch Teil der Gemeinschaft zu sein, wird durch Aussagen wie „9 von 10 Gäste verwenden ihr Handtuch mehrfach“ aktiviert.
- Wahlarchitektur: In der Kantine werden gesunde Lebensmittel auf Augenhöhe präsentiert, während ungesunde Lebensmittel schwerer zu erreichen sind. [7]
Nutzen für die Kultur
Nudging kann auch im Kulturbereich eingesetzt werden, vor allem, um das Publikum auf indirekte Weise zu beeinflussen. Einige Beispiele sind:
- die prominente Platzierung von Informationen zur nachhaltigen Anreise auf der Website,
- die Offenlegung der Mobilitätsdaten inklusive Emissionen sowie ein Vergleich, wie es bei einem höheren Anteil von ÖPNV und Fahrrad wäre.
- „80 Prozent unserer Gäste reisen nachhaltig zu unserem Festival.“
Bestimmt fallen Ihnen noch weitere Nudges ein, sei es mit Bezug auf Mobilität oder einem anderen Thema. Insgesamt gibt es viele kreative Möglichkeiten, Nudging in die Arbeitsweise der Kultureinrichtung zu integrieren.
Weiterführende Tools und Studien
Klimatool von Culture4Climate
In diesem Online-Tool finden Sie verschiedene Maßnahmen für die Mobilität, aber auch zu anderen Themen wie Energie, Ernährung und Catering sowie Materialbeschaffung und Ressourcen. Bei allen Maßnahmen können Sie sich die voraussichtlichen CO2-Einsparungen berechnen lassen.
Ticket to Ride
The Changency und Crowd Impact haben bei dem Mobilitätsprojekt „Ticket to Ride“ Tourkonzerte von AnnenMayKantereit begleitet. Dabei erfassten sie die Publikums-Anreise von 5.000 Besucher:innen und erprobten, welche Maßnahmen besonders wirksam waren. Kleiner Spoiler: Besonders die Kommunikation der Maßnahmen war entscheidend.
Literaturverzeichnis
[1] Öko-Institut e.V., Impulse für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit in der Verkehrspolitik, 2020, S. 9. Abgerufen von 20-11-27-_studie_impulse_f__r_mehr_klimaschutz_und_sozialvertr__glichkeit_in_der_verkehrspolitik.pdf(Stand 08.09.2025)
[2] NRW.Energy4Climate (o.J.). Abgerufen von www.energy4climate.nrw/mobilitaet/uebersicht (Stand 08.09.2025)
[3] Agora Verkehrswende, Die Reform des Straßenverkehrsrechts und neue Gestaltungsmöglichkeiten für Kommunen, Übersicht der Änderungen von Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung und ihre Auswirkung auf die kommunale Praxis, 2024, S. 9. Abgerufen von https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/die-reform-des-strassenverkehrsrechts-und-neue-gestaltungsmoeglichkeiten-fuer-kommunen-1 (Stand 08.09.2025).
[4] Vogels, Julian, Kleber, Laura, Mono, Niklas, Ticket to Ride, Analyse der Publikumsmobilität, 2024, S. 54 – 60. PDF abgerufen von https://www.tickettoride.net (Stand 08.09.2025).
[5] Bundeszentral für politische Bildung (o.J.). Abgerufen von www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/296452/nudging/ (Stand 08.09.2025)
[6] Piasecki, Stefan, Nudging: 'Soft'mind-bending through politics and media - an issue for civil rights activists?, in International Journal of Media & Cultural Politics, Volume 13 Numbers 1&2, 2017, S. 153.
[7] Whitehead, Mark, Jones, Rhys, Nudging, 2024, S. 5 – 6.